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2. Die Sachlexikographie bis zum Ende des 18. Jahrhunderts

Bis zur Herausgabe von Krünitz' Enzyklopädie kann die Sachlexikographie bereits auf eine lange Tradition zurückblicken. Diese wird im folgenden in den wesentlichen Zügen nachgezeichnet. Der Begriff 'Enzyklopädie' erfährt dabei eine zweifache Beachtung, zum einen hinsichtlich seiner eigenen Semantik, zum anderen in seiner Funktion als Gattungsbegriff. Im Zuge dessen klassifiziere ich die so bezeichneten Nachschlagewerke 1, nenne die wichtigsten und versuche sie, wenn möglich, vorzustellen.

 

2.1. Der Begriff 'Enzyklopädie'

Die etymologische Forschung führt den Begriff 'Enzyklopädie' auf εγκυκλιος παιδεια 2 zurück, wobei enkyklios soviel bedeutet wie im 'Kreise herumgehend'

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und paideía mit 'Lehre' übersetzt werden kann. 3 Dierse weist darauf hin, daß damit ursprünglich weder der gesamte Kreis der Wissenschaften noch die allgemeine Bildung, die die Jugend vor der Fachbildung erhalten sollte 4, gemeint war, sondern jene 'chorische Erziehung', die den jungen Freigeborenen zuteil wurde und die noch bis zur Mitte des 5. Jahrhunderts v. Chr. aus einer umfassenden musischen Bildung bestand und ungeteilt Rhythmus, Harmonia (melodie) und Logos umfaßte." 5|

Im Mittelalter bezeichnet dieser griechische Ausdruck die artes und scientiae des enkylischen Kanons oder kurz: die septem artes liberales. Im 15. Jahrhundert wurde der Begriff 'encyclopaedia' geprägt, der im 16. Jahrhundert auch in den Nationalsprachen auftaucht, im 17. Jahrhundert bereits weit verbreitet ist und "einen in sich verknüpften Kreis von Lehrgegenständen" 6 meint, wobei jener Kreis bereits nicht nur die artes liberales umfaßt. Die mit Enzyklopädie verbundene Vorstellung von einer umfassenden Sammlung des Wissens sowie deren Darstellung in systematischer Ordnung tritt im Laufe des 18. Jahrhunderts, als der Begriff auch im Titel von Lexika, Zeitschriften u.ä. 7 zu finden ist, zurück und konkurriert mit der allgemeineren Bedeutung 'Gesamtheit des Wissens'. Die Polysemie des Begriffes,

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die im 18.Jahrhundert einsetzt, läßt sich auch für das 19. Jahrhundert nachweisen 8 und verwirrt noch im 20. Jahrhundert. Das sechsbändige Duden-Wörterbuch deskribiert 1976 Enzyklopädie als ein "Nachschlagewerk, in dem der gesamte Wissensstoff aller Disziplinen oder nur eines Fachgebietes in alphabetischer od. systematischer Ordnung dargestellt ist." 9

Aufsätze, in denen eine Abgrenzung u.a. der Begriffe 'Enzyklopädie', 'Lexikon', 'Wörterbuch' angestrebt wird 10, spiegeln die Unsicherheit auf der wissenschaftlichen Ebene.

2.2. Enzyklopädie als Gattungsbegriff

Die bisherigen Ausführungen zeigen, daß aufgrund der Polysemie des Begriffs unter Enzyklopädie unterschiedliche Nachschlagewerke subsumiert werden. Eine

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einheitliche Klassifikation der unterschiedlichen Typen fällt bis heute schwer.

"One of the controversies that has never been cleared up satisfactorily is the question of the method of arrangement of the contents of an encyclopaedia. Broadly speaking, there are three accepted methods;
A Systematically
B Alphabetically
(a) by broad subjects. ...
(b) by specific subjects." 11

Die systematische Enzyklopädie versucht das gesamte Wissen einer Zeit geordnet nach dem jeweiligen inhaltlichen Konzept darzustellen, während die alphabetische Enzyklopädie auf den systematischen Zusammenhang zugunsten der Möglichkeit eines schnellen Nachschlagens der gesuchten Begriffe, Bezeichnungen und Namen verzichtet. Im folgenden beschränke ich mich auf die Vorstellung weniger, aber für die Gesamtentwicklung der Gattung und insbesondere für die der Fachenzyklopädien wichtiger Nachschlagewerke, wobei ich mich der Klassifikation Collisons anschließe.

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2.2.1. Systematische Enzyklopädien

Die Verfasser der klassisch-antiken wie auch der mittelalterlichen Enzyklopädien haben versucht, ihren erreichten Wissensstand systematisch und vollständig darzustellen, wobei häufig eine Hierarchisierung der Wissenschaften angestrebt worden ist. Als die letzte der großen lateinischen, systematischen Enzyklopädien ist die "Encyclopaedia septem tomis distincta", Herborn 1630 anzusehen 12. Daß sie bereits dem alphabetischen Anordnungsprinzip folgt, wird zwar von Wendt 13 behauptet, aber durch die weitere, neuere Sekundärliteratur nicht bestätigt. Deutsche systematische Enzyklopädien haben Johann Georg Sulzer (Kurzer Begriff aller Wissenschaften und andern Theilen der Gelehrsamkeit, Frankfurt, Leipzig 1745) und Johann Joachim Eschenburg (Lehrbuch der Wissenschaftskunde: ein Grundriß encyclo-pädischer Vorlesungen, Berlin 1792) verfaßt. Im Hinblick auf die ökonomisch-technologische Disziplin muß Georg Friedrich Lamprecht erwähnt werden, der 1785 den "Entwurf einer Encyclopädie und Methodologie der öconomisch-politischen und Cameralwissenschaften" (Halle) vorlegt. Bei dieser Publikation handelt es sich um eine spezielle Enzyklopädie, die Technologie, Landwirtschaft, Handels- und Haushaltungswissenschaft sowie Staatslehre systematisch darzustellen versucht 14. Im

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19. Jahrhundert tritt diese Gattung langsam in den Hintergrund.

2.2.2. Alphabetische Enzyklopädien

Im 18. Jahrhundert erscheint eine Vielzahl an alphabetischen Nachschlagewerken, und zwar sowohl an Gelehrten- und Konversations- als auch an Fachlexika. Einige von ihnen stelle ich im folgenden vor, um Marksteine in Erinnerung zu rufen und die Möglichkeit einer groben Einordnung zu gewährleisten.
Zu den erwähnenswerten allgemeinen alphabetischen deutschen Gelehrtenlexika zählt ohne Zweifel das 64 Bände umfassende, vollendete "Große vollständige Universal= Lexikon aller Wissenschaften und Künste, welche bishero durch menschlichen Verstand und Witz erfunden und verbessert worden", Leipzig 1731 - 1750, das nach dem Verleger Johann Heinrich Zedler auch "Zedlers Universal-Lexikon" genannt wird. Wie der Titel und insbesondere das Titelblatt verheißt, beinhaltet das Werk die Zusammenfassung und Darstellung dessen, was zu jener Zeit an Wissen vorhanden gewesen ist. Das Werk soll den 'gelehrten Laien' den Einstieg in ihnen fremde wissenschaftliche Disziplinen ermöglichen. Zur Unterstützung dessen haben die Herausgeber ein bis zwei Supplememtbände geplant, in denen die Systematik der Wissenschaften abgehandelt werden sollte 15; die Bände sind jedoch

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in der Form nicht erschienen. Collison faßt die Bedeutung dieses Lexikons folgendermaßen zusammen:

"for the first time biographies of living people were included; bibliographical citations were given in great detail [Hervorhebung von mir,C.C.], and the genelogical information is of exceptional quality. In general there is a high standard of accuracy." 16

Aufgrund des großen internationalen Einflusses sei auf die "Encyclopèdie, ou Dictionnaire raisonnè des sciences, des arts et des mètiers, par une sociètè des gens de lettres. Mis en ordre et publiè par M. Diderot, [...] par M. D'Alembert", Paris 1751-1772 hingewiesen. In seinem berühmten "Discours prèliminaire" schreibt D'Alembert über das Ziel, das die "Encyclopèdie" verfolgt:

"als Enzyklopädie soll es [...] Gliederung und Verkettung der menschlichen Kenntnisse aufzeigen; als Methodisches Sachwörterbuch der Wissenschaften, Künste und Gewerbe soll es von Wissenschaft und Künsten [...] die allgemeinen Prinzipien entfalten." 17

Die Enzyklopädisten sind bestrebt gewesen, alphabetische Ordnung mit systematischer Darstellung des gesamten Wissens zu verbinden. Die französische Enzyklopädie, das Manifest der französischen Aufklärung, hat in Deutschland keine direkten Nachahmer der Idee, keine Bearbeiter und keine Übersetzer gefunden. Zwar spricht Collison davon, daß die "Deutsche Encyklopädie; oder, Allgemeines Real- Wörterbuch aller Künste und Wissen-

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schäften, von einer Gesellschaft Gelehrten" das erste deutsche, nach Diderots Vorbild gestaltete Werk sei 18; doch zeigt dessen ausführlicher Wörterbuchartikel "Enzyklopädie" - er beinhaltet die Entstehungsgeschichte und die Programmatik -, daß die Gelehrten ihr Nachschlagewerk als ein Real-Wörterbuch verstehen, in welchem die systematische Ordnung per se aufgehoben sei. 19
Im Vergleich zu Diderots Veröffentlichung bedeutet dies vor allem den Fortfall des Stammbaums. Die "Deutsche Encyklopädie" hat von Band 1-17 Heinrich Martin Gottfried Köster und bis Band 23 Johann Friedrich Roos in den Jahren 1778-1807 in Frankfurt am Main herausgegeben. Sie ist unvollendet geblieben. Das Bedürfnis des nicht-gelehrten Publikums sich in einem Nachschlagewerk über unbekannte Begriffe zu informieren, versucht Johann Hübner mit der Herausgabe des "Reale(n) Staats= und Zeitungs=Lexicon(s)", Leipzig 1704 zu befriedigen. Neben der Klärung der in den Zeitungen auftauchenden unbekannten Begriffen sollte es auch die Konversation in den Salons fördern. Die Titeländerung der 4. Auflage (1709) in "Reales Staats=Zeitungs= und Conversations=Lexicon" spiegelt dies wider. Dem Verlegerischen Engagement von Friedrich Arnold Brockhaus ist die starke Verbreitung der Konversationslexika im 19. Jahrhundert zu verdanken. 20

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Zusammenfassend ist zu konstatieren, daß außer "Zedlers Universal-Lexikon" in Deutschland während des 18. Jahrhunderts keine allgemeine, alphabetische Enzyklopädie erschienen ist, wohl aber bereits Konversationslexika.

2.2.2.1. Fachenzyklopädien

Parallel zu den allgemeinen alphabetischen Enzyklopädien, in denen die Kodifikation des ökonomisch-technologischen Wortschatzes im Laufe des 18. Jahrhunderts immer größeren Raum einnimmt 21, erscheinen auch spezielle, auf ein Fachgebiet beschränkte Enzyklopädien, zu denen neben den philosophischen, mathematischen, juristischen auch ökonomische sowie entsprechend dem Entwicklungsstand technologische zählen.

"Die große Anzahl der fachlich begrenzten deutschsprachigen Nachschlagewerke ist ein Beleg dafür, daß im 18. Jahrhundert in zunehmendem Maße das Bedürfnis bestanden hat, das in den einzelnen Disziplinen in Fluß geratene neue Wissen zu sichern, sich der neuen Erkenntnisse zu vergewissern und sie einem größeren Publikum näherzubringen." 22

Der im 17. Jahrhundert in Europa avancierende Merkantilismus und seine deutsche Ausprägung, der Kameralismus einerseits und die Fortschritte naturwissenschaftlicher und technischer Erkenntnisse andererseits schei-

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nen das Interesse der Öffentlichkeit, insbesondere des aufstrebenden Bürgertums an Wirtschaftsfragen geweckt zu haben. Die Gründung der ersten Lehrstühle für "Cameralis und Oeconomia" 1727 in Halle und Franfurt an der Oder verbindet staatliches mit bürgerlichem Anliegen. An den Universitäten entsteht das Bedürfnis, "den Anfängern eine Einführungsvorlesung in die betreffenden Fächer zu liefern", 23 welche die einzelnen Teilaspekte eines Fachgebietes und ihre Beziehung zueinander aufzeigen soll. Diese Einführung wird als Enzyklopädie bezeichnet. 24 Sie ist systematischer Natur.
Die alphabetischen Nachschlagewerke ökonomischen Inhalts titulieren sich nicht als "Enzyklopädie". 1704 publiziert John Harris in London sein "Lexicon technicum; or, An universal dictionary of the arts and sciences, explaining not only the terms of arts, but the arts themselves". Auch in Frankreich erscheinen um die Jahrhundertwende verschiedene ökonomische Wörterbücher 25, welche - wie auch Harris' Werk - in Deutschland inspirierend gewirkt haben.

"Den eigentlichen Anfang auf dem Gebiete der

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Fachlexika [in Deutschland] macht Adrian Beyer, der 1722 in Jena ein 'Allgemeines Handlungs-Kunst- Berg und Handwercks- Lexicon. In. alphabetischer Ordnung' herausgibt." 26

Erwähnenswert ist auch Georg Heinrich Zincke, der nicht nur die vierte Auflage von Hübners "Curieusen Natur-, Kunst-, Berg-, Gewerk- und Handlungslexikon" (1746) verbessert und herausgegeben hat, sondern auch zahlreiche kameralistische Schriften sowie verschiedene andere Fachlexika verfaßt hat. Sein "Allgemeines Oeconomische Lexicon" (1731) 27 beinhaltet die Land- und Hauswirtschaft. Sein "Teutsche(s) Real-Manufactur- Seite 17 | 18 und Handwercks-Lexicon" 28, dessen erster und einziger Band 1745 veröffentlicht wird, beschränkt sich hingegen auf die Gebiete, "die auch Beckmann später unter die Technologie zusammenfaßt, nämlich auf Handwerke und Manufakturen." 29
In den Jahren 1750-1759 erfolgt in Leipzig die Veröffentlichung der deutschen Übersetzung von Noel Chomels "Dictionnaire oeconomique" unter dem Titel "Physikalisch=öconomisches Lexicon, oder die wahren Mittel, Länder und Staaten glücklich zu machen." 1773 schließlich beginnt das Erscheinen der "Oeconomischen Encyklopädie", welche unter den Fachlexika das erste ist, das den Begriff 'Enzyklopädie' im Titel trägt, wohingegen das "Technologische Wörterbuch" - veröffentlicht von Johann Karl Gottfried Jacobsson 1781-1784 in vier Bänden, 1793-1795 folgen von Gottfried Erich Rosenthal weitere vier Supplementbände - das erste alphabetische Nachschlagewerk ist, das sich auf die Kodifikation des technologischen Wortschatzes beschränkt. Der Überblick bestätigt die These, daß das 18. Jahrhundert eine Vielzahl an Enzyklopädien hervorgebracht hat; seien sie allgemein oder fachlich ausgerichtet, seien sie vollendet oder unvollendet. Im Laufe des Jahrhunderts erreicht das Wissen jedoch einen Umfang, der es Einzelpersonen fast unmöglich macht, das Wissen der Zeit vollständig zu erfassen und darzustellen. Drei Auswege kristallisieren sich heraus:

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1. Die Nachschlagewerke werden von einer Gesellschaft Gelehrter ausgearbeitet (z.B. "Zedlers Universallexikon"). 30
2. Der Adressatenkreis wandelt sich vom gelehrten in Richtung des nicht-gelehrten Publikums (Konversationslexika).
3. Nicht mehr das gesamte Wissen der Zeit wird vollständig erfaßt, sondern nur ein spezieller Ausschnitt (Spezial- oder Fachenzyklopädien).