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6. Modi des Abschreibens

"Wörterbücher entstehen in der Regel nicht, indem der Wörterbuchschreiber seinen ihm geläufigen Wortschatz zu Papier bringt, alphabetisch ordnet und dann gegebenenfalls auch noch in eine andere Sprache übersetzt. Meist ist der Wortschatz einer oder mehrerer Vorlagen der Ausgangspunkt für die Anlage eines neuen Wörterbuches; dieser wird dann von dem Lexikographen je nach seiner Absicht, seiner Sprachauffassung und seiner Sprachkenntnis abgeändert oder ergänzt. Der Anteil der Vorlage kann dabei verschieden sein. Hinsichtlich des Wortschatzes kann er darauf beschränkt sein, den gleichbleibenden Grundwortschatz als lexikalisches Gerüst zu liefern; er kann auch aus mehreren Vorlagen ohne wesentliche Zutaten des Verfassers zusammengeschrieben worden sein." 1
Mit diesen Worten leitet Gerhard Ising in seiner Dissertation zu den Wörterbüchern Kaspar Stielers und Matthias Kramers seine Erörterung der lexikalischen Tradition ein. Im Zuge dessen weist er explizit anhand der Begriffe 'Spähschiff', 'Speiseröhre', 'Spätobst' und 'Spangenkrämer' nach, daß die Lexikographen voneinander bzw. aus den Publikationen ihrer Vorgänger abgeschrieben haben. Im folgenden möchte ich Krünitz' Enzyklopädie und Adelungs Wörterbücher im Hinblick auf oben geschilderte Abhängigkeit untersuchen. Zuvor ist es unerläßlich, sich noch einmal die Chronologie zu vergegenwärtigen. Der erste Band der Enzyklopädie erscheint 1773, der erste Band von Adelungs Wörterbuch hingegen erst 1774. Bis zu diesem Zeitpunkt liegt von Krünitz die Strecke Aa bis Auf (Band 1 und 2) vor. Während eine Berücksichtigung der Sprachlexikographie seitens der

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Sachlexikographie für die folgenden Buchstaben möglich ist, kann Adelung auf die Enzyklopädie lediglich im Zuge seiner Überarbeitung zurückgreifen, was wegen der geschilderten Expansion jedoch nur für die Strecke A bis "Leder" möglich ist. Es liegt auf der Hand, daß in diesem Kapitel einerseits Krünitz Dependenz von Adelung sowie andererseits die Abhängigkeit des "Grammatischkritischen Wörterbuches" von der "Oeconomischen Ency-clopädie" zu diskutieren ist. Die Strecke Aa-Auf in dem "Versuch eines grammatisch-kritischen Wörterbuchs" tritt in den Hintergrund.

6.1. Adelungs Einfluß auf Krünitz

Wie ich im vorangegangenen Kapitel angedeutet habe, verändert Krünitz seine lexikographische Praxis.

"Hahnen=Sporn, eigentlich der spitzige hornartige Auswuchs der Hähne hinten am Fuße, in Gestalt eines Stachels. Figürlich ist die gemeine runde Osterluzey, s. Th.II, S.393, fgg. imgleichen eine Krankheit, die öfters den Rocken und manch-mahl auch den Weitzen betrifft, und für die Gesundheit derjenigen Leute, die von solchem kranken Getreide Brod essen, gefährlich ist, oder das so genannte Brand= oder Mutter=Korn , (siehe in M.) in.einigen Gegenden unter diesem Nahmen bekannt." 2

Die Differenzierung zwischen "eigentlich" und "figürlich" in der semantischen Paraphrase erinnert an Adelung. Jener kodifiziert Hahnensporn in dem "Versuch

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eines grammatisch-kritischen Wörterbuches" folgendermaßen:

"Der Hahnensporn, [...] eigentlich der spitzige hornartige Auswuchs der Hähne hinten am Fuße, in Gestalt eines Stachels. Figürlich ist die Osterluzey, Aristolochia Linn. in einigen Gegenden unter diesem Namen bekannt." 3

Nicht allein die Artikelstruktur Adelungs (eigentlich/ figürlich) hat Krünitz von Adelung übernommen, auch dessen Explikation wiederholt sich bei Krünitz wortwörtlich. Das Beispiel legt den Schluß nahe, daß Krünitz Adelungs "Versuch eines grammatisch-kritischen Wörterbuchs" seiner Enzyklopädie zugrundegelegt hat. Im folgenden gilt es die These zu stützen, die Entwicklung der Übereinstimmungen nachzuzeichnen und deren Ausmaß zu bestimmen.
Die ersten Bände der Enzyklopädie stehen im Zeichen der Übersetzung und der partiellen Ergänzung. Mit dem Buchstaben B verläßt Krünitz seine Vorlage. Wie ich anhand des Artikels "Back=Probe" gezeigt habe, bemüht sich der Verfasser in der Regel um eine semantische Deskription der zu kodifizierenden Begriffe. Ein Beispiel, welches eher am Ende der Strecke B anzusiedeln ist, möge die These stützen, daß Krünitz in den ersten beiden Buchstaben des Alphabets nicht auf Adelung rekurriert hat. Bei Krünitz heißt es:

"Bürger, L. Civis. Dieses Wort hat vielerlei Bedeutungen. Eine jede Person, welche ein Glied eines States ist, folglich Rechte als ein Glied desselben genießet, sie mag sonst im Stande der Obrigkeit oder der Unterthanen leben, heißt 1)

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überhaupt ein Bürger. [...]" 4

Adelung deskribiert Bürger hingegen folgendermaßen:

"Der Bürger, [...] von dem Worte Burg, so fern es ehedem einen befestigten Ort bedeutete, da denn dieses Wort in einem sehr mannigfaltigen Umfange der Bedeutung gebraucht wird. 1. In der engsten Bedeutung drücket es diejenigen Einwohner einer Stadt aus [...]" 5

Insgesamt führt Adelung sechs unterschiedliche Bedeutungen an, die mit Krünitz keinerlei Ähnlichkeit aufweisen. Mit dem Buchstaben C endet jedoch Krünitz' Autonomie.

"Camerad, heißt, im gemeinen Leben, ein Stubengesell, und in weiterer Bedeutung ein jeder, der mit dem andern gleiche Handthierung und Lebensart hat. Besonders pflegen sich Soldaten, Lackeyen, Handwerksgesellen, Schüler u. mit dieser Benennung zu belegen." 6

Diese Passage stimmt Wort für Wort mit Adelungs Ausführungen 7 überein, dessen etymologische Angabe Krünitz jedoch nur zum Teil übernommen hat. Festzuhalten ist, daß mit dem Buchstaben C, genauer dem Lemma "Camerad" die Verquickung zwischen Sach- und Sprachlexikographie einsetzt, wobei zu beachten ist, daß Krünitz, der wegen seiner Quellenangaben gerühmt wird, hier jedoch den Urheber verschweigt. Ganz anders verhält es sich diesbezüglich in folgendem Beispiel:

"Chenille, (*) (sprich Schenillie) nennet man eine Art Agrements, Borten, [...]." 8

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Interessant ist in diesem Fall weniger die semantische Deskription, als die Anmerkung:

"(*) Nicht, wie in Ludovlci Kaufmannslexicon, und Adelungs Wörterbuch stehet, Chenelle." 9

Krünitz lemmatisiert einen Begriff abweichend von Carl Günther Ludovici 10, und abweichend von dem Sprachwissenschaftler seiner Zeit. In Anbetracht der orthographischen Schwankungen im 18. Jahrhundert darf die Tatsache selbst nicht verwundern. Interessant ist vielmehr, daß Krünitz Adelung überhaupt erwähnt. Auch in dem Artikel "Dirne" wird Adelung genannt. Zitiert wird ausnahmsweise zuerst Adelung und danach Krünitz.

"Die Dirne [...]. 1. Eine Jungfer, eine junge unverheurathete Person des andern Geschlechtes. In dieser Bedeutung war dieses Wort ehedem in edlem Verstande üblich [...]. Heut zu Tage ist es derselben im Hochdeutschen bey nahe veraltet, und man nennet in Niedersachsen nur noch die ledigen Weibspersonen gemeiner Leute Dirnen. [...] 2. Eine Magd, welche Bedeutung gleichfalls nur noch in Niedersachsen angetroffen wird." 11
"Dirne. Dieses Wort erklärt Hr. Adelung, in seinem Wörterbuche, durch eine Jungfer, eine junge unverheurathete Person des andern Geschlechtes.

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Dieses ist aber nicht deutlich genug. Das Wort Dirne zeiget nicht besonders eine Jungfer an, sondern hat die allgemeine Bedeutung einer jungen Person des weiblichen Geschlechts, welche nicht im ordentlichen Ehestande lebt, ohne den Begriff zu geben, daß sie noch eine Jungfer sey. So wird Ruth eine Dirne genannt, ob sie gleich schon eine Wittwe war. Ruth 2,6. [...] Heut zu Tage nennet man in Niedersachsen nur noch die ledigen Weibspersonen gemeiner Leute Dirnen.
2. Eine Magd, welche Bedeutung gleichfalls nur noch in.Niedersachsen angetroffen wird. 12

Der "Enzyklopädist" rezipiert Adelungs semantische Explikation im Wortlaut und formuliert anschließend selbst eine Bedeutungserklärung, die sowohl die nächsthöhere Gattung als auch die spezifische Differenz nennt. Um seine Auffassung zu untermauern, bedient er sich - wie Adelung - der Bibel, indem er auf die Stelle, die sich mit seiner Interpretation deckt, verweist, ohne sie zu zitieren. Die Differenzen in der ersten Teilbedeutung hindern Krünitz nicht an der Übernahme bzw. an dem Abschreiben der weiteren Ausführungen Adelungs. Die folgenden Beispielartikel - "Draht" und "Frau" - werden die Praxis des Abschreibens weiter verdeutlichen, was darüber hinaus heißt, die Form, die eine Verquickung zwischen Sach- und Sprachlexikographie annehmen kann, exemplarisch vorzustellen. Die semantische Deskription des Begriffes 'Draht'

Krünitz Adelung
Draht, (*) 1. Eigentlich, ein im Spinnen zusammen gedreheter Faden, in welcher Der Draht [...].l. Eigentlich ein im Spinnen zusammen gedreheter Faden, in

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Krünitz Adelung
Bedeutung dieses Wort hauptsächlich bey der Sattler= Riemer= und Schuhmacher=Arbeit von dem dickgesponnenen Garn von Hanf oder Flachs gebraucht wird, welches zur Verfertigung und Zusammenheftung verschiedener Leder dienet. Man hat sonderlich daher den Schuhdraht, oder Schusterdraht, (auch Pechdraht genannt, weil er mit Hülfe des Peches gemacht wird,) L. Filum futorium, [...] welcher verschieden ist, als: a) Be-stech= oder Stepp=Draht [...]; b) Einstechdraht [...]; c) Absatzdraht [...]; und d) Doppeldraht [...] Die Zubereitung der verschiedenen Arten des Schusterdrahtes, findet man in Hrn. v. Garsault Beschreibung des Schusterhandwerks [...]. Auf dem Lande [...] muß ein guter Stallknecht oder Wirthschaftsverwalter nebst einigen Riemen u.d.gl. auch solchen Draht zur Hand haben . Es pflegen auch die Strumpfweber die gedrehete Fäden Wolle oder Seide mit dem Namen Draht zu belegen,wenigstens sind daraus die Zusammensetzungen eindrähtig, zweydrähtig, dreydrähtig, entstanden. 2. Vornehmlich aber wird durch Draht ein von Metall oder Erz, als: Gold, Silber, Kupfer, Zinn, Bley, Eisen, Stahl, imgleichen von Messing und Domback gezogener und gestreckter, dicker oder dünner, runder oder eckiger, oder breiter Faden, [...] verstanden.[...]." 13 welcher Bedeutung dieses Wort hauptsächlich von den gedreheten Fäden, deren sich die Schuster bedienen, gebraucht wird, für Pechdraht.
Daher die bey ihnen üblichen Zusammensetzungen Absatzdraht, Bestechdraht, Einstechdraht, Doppeldraht u.s.f.
Doch pflegen auch die Strumpfweber die gedreheten Wolle oder Seide mit diesem Namen zu belegen, wenigstens sind daraus die Zusammensetzungen eindrähtig, zweydrähtig, dreydrähtig entstanden. 2. Ein von Metalle gezogener Faden. Golddraht, Silberdraht, Messingdraht, Kupferdraht, Eisendraht u.s.f ." 14

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Das Beispiel zeigt deutlich, daß Krünitz die Artikelstruktur Adelungs seinem eigenen Artikel zwar zugrundelegt, aber entsprechend der Konzeption der "Oeconomischen Encyclopädie" Veränderungen vornimmt; in diesem Beispiel ergänzt er die Ausführungen um enzyklopädiysches Wissen - so erläutert er hier u.a. die jeweiligen Funktionen des Steppdrahtes, des Einstechdrahtes etc. -in anderen Fällen (s.u.) streicht er. Der Artikel "Glück", den ich ausschnittsweise in Kapitel 5.4 zitiert habe und der ebenfalls Adelungs Handschrift trägt, verdeutlicht, daß Krünitz seine enzyklopädischen Anmerkungen 15 auch in Begriffe des allgemeinsprachlichen Wortschatzes einstreut.
An die zitierte semantische Explikation des Begriffes "Draht" schließt sich eine etymologische Anmerkung an, die bei Adelung die vorangegangenen Ausführungen an Umfang weit übertrifft, bei Krünitz hingegen im Vergleich spärlicher ausfällt. Zu ergänzen ist, daß die etymologische Deskription bei Krünitz in einer Anmerkung erfolgt, deren Verweis (*) an das Lemma anschließt und die sich am Ende einer Seite befindet. 16

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Die Etymologie des Begriffes 'Draht'

Krünitz Adelung
"(*)Dieses Wort stammet ohne Zweifel von drehen her; daher schreibt man es auch richtiger Draht, als Drath.
Im Ober=Deutschen lautet dieses Wort Traht, welches Einige von trahere (ziehen) herleiten wollen. Ehedem hieß der Draht auch Vinster, gleichsam Winster, von winden, drehen, und im Nieders. ist auch Wirs, Engl. Wire, üblich, von wiren, drehen." 17
"Anm. Im Oberdeutschen lautet dieses Wort Traat, und in einigen Gegenden das Draht. [...] Dieses Wort stammet ohne Zweifel von drehen her [...] Um deswillen schreibt man es auch richtiger Draht, als Drath.
Ehedem hieß der Draht auch Vinster, gleichsam Winster, von winden, drehen, und im Nieders. ist auch Wire, Engl. Wire, üblich, von wiren drehen. [...]" 18


Krünitz entnimmt parallel zu der semantischen Deskription die etymologische. Mit dem Buchstaben D treten die in Kapitel 5.4. geschilderten Anmerkungstypen deutlich hinter die etymologischen Inhalts zurück, wenngleich sie auch im Buchstaben C bereits auftreten. Die Tabelle zeigt die Kürzungen, aber auch die Ergänzungen. Daß Krünitz sich nicht nur in Adelungs Wörterbuch über die Sprache informiert, sondern auch andere sprachwissenschaftliche Werke, die er ebenfalls nicht explizit nennt, benutzt, verbirgt sich hinter dem Hinweis auf "trahere".

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Eine andere Methode der Übernahme wendet er in dem Artikel "Frau" an. Adelungs etwa eine Spalte umfassende Explikation setzt Krünitz an den Anfang seines Artikels, ohne Veränderungen vorzunehmen, was Adelungs System, Bedeutungsschattierungen zu markieren, einschließt. Lediglich die fremdsprachlichen Interpre-tamente hat Krünitz hinzugefügt und die grammatische Oeskription Adelungs, wie schon in den anderen Beispielen, außer acht gelassen.

"Frau (*), L. Femina, Mulier, Fr. Femme". 19

Die enzyklopädischen Ausführungen, die den Rechten und Pflichten der Frauen, insbesondere der Hausfrau und Hausmutter gelten, beginnen direkt im Anschluß an Adelungs semantische Explikation. "Einer jeden Frau, d.i. verheuratheten Person weibliches Geschlechts, welche in der Wirthschaft die Haus=Frau, Hausmutter, Wirthinn heißt, (siehe diese Wörter) kommen verschiedene ganz eigene Rechte, Pflichten und Verrichtungen in Ansehung ihres Mannes, ihrer Kinder, vornehmlich wegen der Töchter [...] ja überhaupt wegen der Reinigkeit im.Hause und der Ordnung des Hausrathes, zu." 20
Beispiele, die sich dem Typ "Dirne" oder dem Typ "Frau" zuordnen lassen, finden sich durchgängig, auch in den späteren von Krünitz bearbeiteten Bänden. 21 Häufig verzichtet der "Enzyklopädist" darauf, den Ausführungen Adelungs sein enzyklopädisches Wissen hinzuzufügen, wie

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z.B. in.sdem Artikel "Haupt". 22 Resümierend ist zu konstatieren, daß Johann Georg Krünitz aus dem "Grammatisch-kritischen Wörterbuch" abgeschrieben hat, und zwar ohne den Verfasser, Johann Christoph Adelung namentlich oder indirekt zu nennen. Teilt er dessen Auffassung in Einzelfragen nicht, verweist er auf ihn und referiert die abweichenden Punkte. Insofern stellen die Beispiele "Chenille" und "Dirne" Ausnahmen dar. Weder in den Artikeln, in denen Krünitz auf Adelung zurückgreift, noch an einem anderen Ort bekennt sich Krünitz, der ansonsten so gewissenhaft seine Quellen anzugeben bemüht ist, sein sprachlexikographisches Vorbild. Die zahlreichen, nicht nur positiv gesonnenen Rezensenten scheinen die veränderte Praxis nicht registriert zu haben. In Kapitel 5.4 erwähnte ich, daß einer unter ihnen auch die semantische Deskription anzweifele. So kritisiert der Rezensent der Allgemeinen Deutschen Bibliothek zu Band 28-41 der Enzyklopädie z.B. die stilistische Markierung in dem Artikel Jacke:

"Jacke, S.16, soll nicht in die anständige Schreibart, sondern nur im niedrigen Sprachgebrauch üblich seyn, diese Behauptung,ist wenigstens nicht bestimmt ausgedrückt." 23

Auch die semantische Deskription zu Jacke hat Krünitz aus dem "Versuch eines grammatisch-kritischen Wörterbuches" abgeschrieben. Die entsprechende Passage lautet dort:

"Jetzt ist dieses Wort in der anständigen Schreibart veraltet, indem es nur noch in der niedrigen Sprechart, besonders auf dem Lande üblich ist". 24

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Die entsprechende Rezension in der Allgemeines Deutschen Bibliothek kann somit partiell auch als eine Auseinandersetzung mit Adelungs Deskription gelesen werden.

6.2. Krünitz' Einfluß auf das "Grammatisch-kritische Wörterbuch"

Johann Georg Krünitz lemmatisiert nur einen ausgewählten Bereich des Gesamtwortschatzes; Johann Christoph Adelung hat sein Nachschlagewerk bereits 1801 für das gesamte Alphabet beendet. D.h., aufgrund der Differenzen des zu kodifizierenden Wortschatzes und der abgeschlossenen Strecken ergibt sich als Schnittmenge die Strecke A bis Leder. Wenngleich aus diesem Grund die Erwartungen bezüglich des Untersuchungsergebnisses gedämpft sind, kann eine Dependenz der Sprachlexikographie von der Sachlexikographie nicht bereits im Vorfeld ausgeschlossen werden, zumal, wie in Kapitel 4.5. erwähnt, Adelungs semantische Paraphrasen nicht frei von enzyklopädischen Angaben sind. Zwei unterschiedliche Aspekte kommen in Betracht. Zum einen stellt sich auf der makrostrukturellen Ebene die Frage, ob sich die neuaufgenommenen Wörter des ökonomisch-technologischen Wortschatzes auf Krünitz zurückführen lassen. Zum

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anderen ist auf der mikrostrukturellen Ebene zu prüfen, ob Adelung die bereits lemmatisierten Wörter um - sofern vorhanden - ökonomisch-technologische Bedeutungsschattierungen bzw. um sachliche Informationen ergänzt und ob jene auf Krünitz zurückführbar sind.

6.2.1. Die makrostrukturelle Ebene

Zunächst gilt es, einen Blick auf den von Adelung neu aufgenommenen Lemmabestand zu werfen, weshalb die zentrale Fragestellung dieses Kapitels lautet: Lassen sich in puncto Stichwortauswahl Einflüsse der "Oeconomischen Encyclopädle" im "Grammatisch-kritischen Wörterbuch" ausmachen bzw. weisen die in der zweiten Auflage hinzugefügten Wörterbuchartikel Ähnlichkeiten mit der Enzyklopädie auf und wenn ja, welche. In Frage kommen also nur die Lemmata, die Krünitz und Adelung (in der 2. Auflage) kodifizieren. Da hier nicht die gesamte Strecke A-Leder berücksichtigt werden kann, habe ich eine repräsentative Auswahl getroffen:

Bachblume
Bachhase
Backkorb
Baggern
Bakeljau
Baibahn
Ballenwaare
Ballon
Bannreitel
Bastwurm
Bau=Materialien
Baumwurz
Beergelb
Beheften
Behen=Wurzel
Eisbad
Eisberg
Eisbirn
Eisenkitt
Elektrisch
Erbkoth
Eselsbohne
Eselsfarn
Essigmutter
Extract



Familien=Begräbniß
Faßhefen
Faulbrut

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Bergwiesel
Betthimmel
Bettsack
Beutelgarn
Bierkrug
Biscuit
Blaffen
Blankhaken
Blätterteig
Blauschauer
Bleyreif
Bleystampfe
Bleyzeichen
Blonde
Blumenmehl
Federhuth
Feldbirn
Feuerbohne
Fiedelbohrer
Fliegenglas
Frostrauch
Frostsalbe
Fußbock
Fußdecke



Jagdschloß
Journal
Jungfernbirn
Junkerbirn


Die Anzahl der ausgewählten Beispiele, darunter die vollständige Schnittmenge Adelung-Krünitz der Buchstaben E, F und I/J, erweist sich im Vergleich zu der Menge der gesamten Neuaufnahmen in jenen Streckenabschnitten als erstaunlich klein; so stehen den zehn oben aufgelisteten Stichwörtern der Strecke E gut 150 Gesamtneuaufnahmen gegenüber, in F ergibt sich ein Verhältnis von 12 zu 130. Die größere Ausbeute an Beispielen aus einem Teil der Strecke B muß nicht allein auf der unterschiedlichen Stichwortkapazität der einzelnen Buchstaben basieren. Auch die Tatsache, daß Krünitz mit dem Buchstaben C begonnen hat, seine lexikographische Praxis an Adelung auszurichten, könnte eine Rolle spielen. Die semantischen Paraphrasen der Lemmata habe ich gegenübergestellt, auf Übereinstimmungen geprüft und in Klassen eingeteilt. 1. Die Artikel, die eine vollständige Identität hinsichtlich des Inhalts, der Lexik sowie der Syntax aufweisen, zähle ich zu der Klasse der wortwörtlich abgeschriebenen Wörterbuchartikel. Ein derartiges Beispiel existiert auf der Strecke A bis Leder nicht. Auch wennn diese Rubrik dahingehend erweitert wird, daß die semantischen Merkmale (Gattung, spezifische

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Differenz) insgesamt, die Lexik weitestgehend und die Syntax im wesentlichen übereinstimmen, läßt sich ihr gleichfalls kein Stichwort eindeutig zuordnen. Ein Beispiel, das als Grenzfall anzusehen ist, verdeutliche die Schwierigkelten. (Zitierfolge auch in diesem Kapitel: Krünitz-Adelung).

"Blauschauer, werden diejenigen Färber genennet, welche die Tücher untersuchen, ob sie mit den ächten und.dazu gehörigen Farben gefärbet worden." 25


"Der Blauschauer,[...] in den Färbereyen, derjenige Färber, welcher die gefärbten Tücher untersuchen muß, ob sie gehörig gefärbt worden." 26 Die Unterschiede in der syntaktischen Struktur resultieren aus den Differenzen in der Konzeption und den Prämissen eines sachlich bzw. sprachlich orientierten Nachschlagewerkes. Auf der einen Seite befindet sich Krünitz, der entsprechend der sachlexikographischen Tradition narrativ paraphrasiert, auf der anderen Adelung, der sich um kurze, prägnante Explikationen bemüht, was sich vor allem in den Satzbauplänen bei der Kodifikation von Verben zeigt. Daß Adelung in diesem Fall auf Krünitz rekurriert und dessen Artikel entsprechend seiner Konzeption umgeformt hat, liegt in Anbetracht der Ähnlichkeit der lexikalischen und syntaktischen Struktur nahe. Adelungs Wörterbuchartikel "Der Blankhaken" 27 weicht zwar in seiner Syntax stark von Krünitz ab, ähnelt jedoch semantisch und lexikalisch

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dem Artikel "Haken" 28 auf den Krünitz unter "Blank=Haaken" 29 verweist. Aufgrund der geringen Ähnlichkeit wäre er jedoch eher der folgenden, zweiten Rubrik, zuzuordnen.
2. Die zweite Klasse beherbergt zum einen die Lemmata, in deren Wörterbuchartikeln die semantische Paraphrase und einzelne Satzglieder zwar übereinstimmt, die syntaktische Struktur jedoch stark abweicht und eine eventuell vorhandene enzyklopädische Angabe Adelungs nicht aus Krünitz Ausführungen hervorgeht.

"Blei=Reif, Blei=Schnur, Fr. La Plombèe, heißt, das mit bleiernen Ringen versehene Seil, womit der Fuß des Fischernetzes eingefaßt ist. Siehe Netz." 30
"Der Bleireif,[...] bey den Fischern, ein mit bleyernen Ringen versehenes Seil an dem Netze, dasselbe auf den Grund zu ziehen, die Bleyschnur; zum Unterschiede von dem Floßenreife." 31

Zum anderen fallen in diese Rubrik die Lemmata, in denen die semantische Paraphrase Adelungs aufgrund partieller lexikalischer und syntaktischer Ähnlichkeiten der Explikationen als Zusammenfassung der Ausführungen Krünitz' interpretiert werden können. (Ich zitiere als erstes Krünitz, danach die entsprechenden Ausführungen zu dem Verweislemma.)

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"Blei=Zeichen, siehe Blei (Fabriken=). Bey den Jägern wird Blei=Zeichen genannt, wenn der Hirsch auf den Steinfelsen mit den Spitzen der Schalen auf den Stein greifet, und einen glänzenden Strich macht, als wenn er mit Bleistift gezeichnet wäre. Es wird selten gefunden, und nur von dem Hirsch gemacht, wenn er mit Gewalt auf einen Felsen hinauf will, und also stark eingreifen muß." 32
"Blei, (Fabriken=) [...] nennet man dasjenige platte und runde Stückchen Blei, welches am Ende einer Saalleiste, und zwar oben gleich zum Anfange eines Tuches oder Zeuges aufgehängt ist, und auf welches man den Nahmen des Orts, wo das Tuch oder der Zeug verfertigt ist, nebst der Jahrzahl, setzet. Dergleichen Fabrikenblei hänget man aber nicht eher an die Tücher und Zeuge, als bis sie von den vorgesetzten und geschworenen Obermeistern des Orts genau besichtigt und untersuchet worden. Siehe Zeichen." 33

Adelung hat in seinem Artikel "Das Bleyzeichen" zwei Bedeutungen angesetzt:

"1) In den Fabriken, das bleyerne Zeichen, welches nach geschehener Besichtigung an die Zeuge und Tücher gehänget wird; das Fabriken=Bley. 2) Bey den Jägern, der Strich, welchen der Hirsch mit den Spitzen der Schale auf den Felsen macht, weil es eben so glänzt, als wenn er mit einem Bleystifte gezeichnet wäre." 34

Die Vermutung, hier läge eine Zusammenfassung vor, nährt sich zum einen aus dem letzten Nebensatz, der abgesehen von dem Pronomen "einem" mit Krünitz übereinstimmt, und zum anderen aus der Tatsache, daß Krünitz zwischen zwei Bedeutungen differenziert, die bei Adelung ebenfalls erscheinen. In den Artikeln zu Bettsack und Biscuit wiederholt sich das Muster. Die

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Bedeutungsschattierungen, die Krünitz eingebettet in ausführliche enzyklopädische Darstellung nennt, scheint Adelung zur Kenntnis zu nehmen, gemäß seiner Konzeption umzuformulieren und zu kodifizieren. Zwar trifft auf die Beispiele Blonde, Brandblut, Fliegenglas sowie Fußbock nicht das Kriterium der Übernahme der Polysemie zu, dennoch kann auch in diesen Fällen von einer Zusammenfassung mit obigen Kategorien ausgegangen werden. Verfaßt Krünitz:

"Fliegen=Glas, siehe oben, S.235." 35
"Zum Fange dieser Insecten, bedient man sich der so genannten Fliegengläser. Diese sind eine Art von Cylinder, welche oben einwärts gedrückt sind, und mitten in der obern Vertiefung eine kleine Oeffnung haben. Fig.768. Diese Gläser füllet man zur Hälfte mit Milch, Bier, oder Wasser und Honig oder Syrup, an, und stellt sie in Wohnzimmern an unterschiedenen Orten auf." 36

so differenziert Adelung folgendermaßen:

"Das Fliegenglas, [...] eine Art gläserner, oben einwärts gedrückter Cylinder, mit einer kleinen Öfnung in der Mitte, welche man halb mit Wasser und Honig füllet, die Fliegen darin zu fangen.'' 37

Auch einige der botanischen Stichwörter

Behen=Wurzel, Eisbirn, Eselsbohne, Eselsfarn, Feldbirn, Jungfern=Birn, Junkerbirn

weisen Ähnlichkeiten mit der "Oeconomischen Encyclopädie" auf; ob Adelung in diesem Fall auf Krünitz zurückgreift bzw. ob er Krünitz' Ausführungen zusammenfaßt, läßt sich nicht entscheiden.

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"Junkern=Birn, s. Th.V. S.425." 38
"die große Zwiebelbirn, der Sommerkönig, das braune Wunder, die Cyperbirn, Junkernbirn. Ist mittelmäßig groß, rund [...] Ihr Fleisch ist derb und körnicht, doch aber voll Safts, und von angenehmen süßen, etwas bisamhaften Geschmack." 39
"Die Junkerbirn, [...] eine Art mittelmäßig großer runder Birnen, mit einem saftigen bisamartigen Fleische, die große Zwiebelbirn, der Sommerkönig, die Cyper=Birn [...]" 40

Offen bleibt, ob die Junkernbirn von "bisamartigen" Fleisch oder Geschmack ist, weswegen die genannten botanischen Stichwörter wiederum als Grenzfälle anzusehen sind.
3. Eine Entscheidung kann nicht getroffen werden, wenn
a) die semantischen Merkmale zwar Identisch sind, die Artikel jedoch keinerlei lexikalische oder syntaktische Ähnlichkeit aufweisen.
b) die Begriffe dem allgemeinsprachlichen Wortschatz angehören.
c) Adelung (entsprechend den unter a) genannten Voraussetzungen) in seiner Deskription entweder Krünitz weit übertrifft oder dessen Ausführungen generalisiert.
Folgende Begriffe sind davon betroffen: Bachhase, Bau=Materialien, Bleystampfe, Blumenmehl, Eisberg, Eisenkitt, Elektrisch, Extract, Frostrauch, Journal.
Eine Zusammenfassung ohne lexikalische oder syntaktische Kongruenz liegt in dem Beispiel Bleystampfe vor.

"Blei=Stampf, Blei=Form, eine Geräthschaft der

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Gold= und Silberarbeiter; ist eine bleierne Platte, worinn ein oder mehrere Löcher oder vertiefte Figuren von unterschiedlicher Größe, aus-gehöhlet sind, in welche man mit einem metallenen oder sogenannten Löffel=Stampf durch den Hammer, z.E. die Hälften eines Degengefäßes von Goldblech hinein treibet, und darinn solchergestalt abdrückt oder stampfet." 41

Im Vergleich dazu die Deskription Adelungs:

"Die Bleystampfe, [...] bey den Silberarbeitern, eine dicke mit Löchern versehene Bleyplatte, den Löffeln darin ihre Figur zu geben." 42

4. Die verbleibenden Stichwörter weisen keinerlei Übereinstimmungen auf. Unter ihnen kann differenziert werden zwischen denen, die aufgrund ihrer fehlenden Kongruenz ausscheiden und denen, die aufgrund eines unergiebigen Verweises auszugrenzen sind.

"Bast=Wurm, ein schädliches.Uebel an den Apfelbäumen; siehe unter malus." 43
"Der Bastwurm, [...] eine Art schädlicher Würmer, welche den Bast der Apfelbaume durchbohren." 44

Der Verweis auf "malus" enthebt Krünitz einer semantischen und enzyklopädischen Paraphrase unter "Bast= Wurm". Die Bedeutungserklärung Adelungs geht nicht aus Krünitz' Darstellung hervor. In diese Rubrik fallen nicht nur jene Verweise, die außerhalb des Korpus, der Schnittmenge Adelung-Krünitz anzusiedeln sind, z. B. "Bast=wurm", sondern auch jene, deren Verweislemma keine das gesuchte Stichwort betreffende Explikation bietet.

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"Baumwurz, L.Polypodium; siehe Engelsüß" 45

In dem Wörterbuchartikel "Engelsüß" 46 deskribiert Krünitz den Begriff "Baumwurz" nicht, so daß dessen Bedeutung den Benutzern der "Oeconomischen Encyclopädie" versagt bleibt. Folgende Begriffe scheiden demnach aus: Bachblume, Backkorb, Baggern, Bastwurm, Baumwurz, Beutelgarn, Blätterteig, Frostsalbe, Jagdschloß. Zu den Stichwörtern, die inhaltlich, lexikalisch und syntaktisch keine ausreichende bzw. gar keine Ähnlichkeit aufweisen, zählen: Bakeljau, Baibahn, Ballenwaare, Ballon, Bannreitel, Beergelb, Beheften, Bergwiesel, Betthimmel, Bierkrug, Blaffen, Eisbad, Erbkoth, Essigmutter, Familien=Begräbniß, Faßhefen, Faulbrut, Federhuth, Feuerbohne, Fiedelbohrer, Fußdecke. Der Vergleich der im "Grammatisch-kritischen Wörterbuch" hinzugefügten Lemmata mit der "Oeconomischen Encyclopädie" hat gezeigt, daß Adelung nicht systematisch von Krünitz abgeschrieben hat. Zu konstatieren ist, daß er mit einer großen Wahrscheinlichkeit Krünitz' Werk nicht nur gekannt, sondern auch benutzt hat. So denkbar, daß die Lektüre der "Oeconomischen Encyclopädie" Adelung dazu bewogen hat, einige Lemmata des ökonomisch-technologischen Wortschatzes hinzuzufügen.

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6.2.2. Die mikrostrukturelle Ebene

Wenngleich die Abhängigkeit Adelungs von Krünitz auf der makrostrukturellen Ebene nur in geringem Maße nachweisbar ist, kann doch auf der mikrostrukturellen Ebene nicht ausgeschlossen werden, daß Adelung seine Ausführungen um Bedeutungsschattierungen des ökonomisch-technologischen Wortschatzes ergänzt. Anhand der Strecken Bruch-Caffa (entspricht Band 7 der "Oeconomischen Encyclopädie") und Fabrik-Frauen=Zins (entspricht den Bänden 12-14 der "Oeconomischen Encyclopädie) gilt es, wie in dem vorangegangenen Kapitel, die Beispiele zu untersuchen. Da die Grundzüge bereits ausgearbeitet sind, beschränke ich mich darauf, den Umfang der Kongruenz zu bestimmen und anhand einiger Beispiele die obigen Kategorien zu überprüfen. Die von Krünitz lemmatisierten Begriffe sind in dem "Versuch eines grammatisch-kritischen Wörterbuches" aufzuspüren und mit der "vermehrten und verbesserten" Auflage zu vergleichen. Da im Vordergrund das Sachwissen bzw. die Bedeutung eines Begriffes in einer oder mehreren Fachsprache im Vordergrund steht, können auch diejenigen Wörterbuchartikel berücksichtigt werden, in denen Krünitz Adelungs semantische Paraphrase übernommen hat. Auch dieser Vergleich zeigt, daß die Ergänzungen Adelungs sehr zahlreich und des öfteren den ökonomisch-technologischen Wortschatz betreffen.

"Die Ficke [...]. An den Hufeisen für Wagenpferde wird der vorn in die Höhe stehende Theil, dessen Spitze über den Huf geschlagen wird, die Ficke genannt." 47

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Der erzählende Ton, der in Adelungs enzyklopädischen Angaben wesentlich häufiger als in der semantische Explikation anzutreffen ist, fällt auf und legt eine Abhängigkeit von Krünitz nahe, die jedoch nicht gegeben ist. Nun in einer der obigen Darstellung ähnlichen Ausführlichkeit die Resultate der Strecke zu präsentieren, halte ich für unergiebig. In den wenigen Fällen, in denen eine Abhängigkeit des "Grammatisch-kritischen Wörterbuches" von der "Oeconomischen Encyclopädie" vermutet und partiell belegt werden kann, unterliegen sie den gleichen Prämissen. Hier beschränke ich mich auf ein herausragendes Beispiel. "Bürge, [...] nennet man diejenige Person, welche die Verbindlichkeit eines Andern übernimmt, im Falle dieser sie nicht selbst erfüllet." 48 Adelung hat in seine semantische Paraphrase eingefügt: "Der Bürge [...] in der weitesten Bedeutung, eine jede Person, welche die Verbindlichkeit einer andern übernimmt, im Falle diese sie nicht erfüllet." 49 Diese Passage zählt zu den insgesamt seltenen Beispielen, in denen ein Abschreiben seitens Adelung sehr wahrscheinlich ist. Die Syntax differiert auch hier wegen der unterschiedlichen lexikographischen Praktiken.

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Folgende Stichwörter der genannten Strecken weisen Ähnlichlichkeiten auf und wären in eine der ersten drei Klassen der in 6.2.1 aufgestellten Kategorien einzuordnen.
Büffel, Bügel, Bürge, Butterstolle, Capelle, Carcasse, Fasel, Faseln, Faust, Federball, Fiacker, Final=Stock, Floß.
Die 13 Begriffe (in Adelungs Orthographie) sind die Ausbeute einer etwa 350 Spalten umfassenden Strecke, wobei die ersten sechs allein 87 Spalten entnommen sind. Für die mikrostrukturelle Ebene läßt sich also ein ebenso mageres Ergebnis konstatieren, wie für die makrostrukturelle Ebene. Der Vergleich der beiden Auflagen des Wörterbuches bestätigt noch einmal, daß Adelung sein Wörterbuch "vermehrt und verbessert" hat und daß die Menge der gemeinsamen Lemmaansätze in der Strecke B größer ausfällt. Adelung hat sich in anderen Nachschlagewerken informiert, die daraus entnommenen Informationen hat er jedoch im Fall der "Oeconomischen Encyclopädie" nicht wortwörtlich übernommen, sondern stets entsprechend seiner eigenen lexikographischen Konzeption bearbeitet.

6.2.3. Einzelfall oder Methode?

So schmeichelhaft der geschilderte Vergleich für Adelung ausfällt, darf er nicht darüber hinwegtäuschen, daß Adelung aus anderen Nachschlagewerken, seien sie sprachlich oder seien sie sachlich orientiert, abgeschrieben haben könnte. Hinsichtlich der Anlage und des Publikationszeitraums käme zum Beispiel das

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"Technologische Wörterbuch" von Johann Karl Gottfried Jacobsson in Frage. Ein Vergleich der in der zweiten Auflage von Adelung hinzugefügten Lemmata mit den kodifizierten Stichwörtern Jacobssons führt in der Strecke E zu einer im wesentlichen von Krünitz abweichenden Schnittmenge.
Edeltanne, Einblinden, Einegen, Eisenkitt, Embargo, Entwässern, Entziffern, Erdwerk, Ernstfeuer, Essigmutter.
Die niedrige Anzahl deutet auch bei Jacobsson auf eine geringe Kongruenz hin. Ein Blick auf die semantischen Paraphrasen bestätigt, daß Adelung auch aus dem "Technologischen Wörterbuch nicht planmäßig abgeschrieben hat. Jacobsson deskribiert 1781 Erdschaber folgendermaßen:

"Erdschaber, (Kriegsbaukunst) eingekrümmtes mit zwey kurzen Stielen versehenes Werkzeug, dessen sich die Minerer bey der Schanzarbeit mit Vortheil bedienen." 50

In Adelungs Deskription treten die wesentlichen Merkmale ebenfalls auf.

"Der Erdschaber,[...] ein krummes eisernes Werkzeug der Minirer mit, zwey Stielen, die Erde damit wegzuschaben." 51

Der hier nur angeschnittene Vergleich zwischen Jacobsson und Adelung spiegelt dasselbe aus dem Vergleich mit Krünitz bekannte Muster wider. Adelung hat sich anderen Nachschlagewerken Anregungen für Stichwortansätze ent-

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nommen, sie jedoch nicht planmäßig in sein Wörterbuch in Form wortwörtlicher Übernahmen eingearbeitet.